[Klassikerjahr] Lew Tolstoi

Neuer Monat, neuer Beitrag zu den Klassikern.

Um das nochmal kurz zu erklären, ich möchte im Jahr 2020 gerne 12 Klassiker lesen und auf meinem Blog vorstellen. Dafür habe ich mir schon eine Liste angelegt, die ihr hier in meinem Ankündigungsbeitrag nochmal nachlesen könnt.
Aber ich möchte nicht nur einfach das Buch lesen, sondern auch etwas über den Autor / die Autorin hinter dem Werk erfahren. Deshalb gibt es dann hier keine einfache Rezension.

Dann kommen wir auch schon zum letzten Klassiker in diesem Jahr. Falls ich es nicht doch noch schaffen und mein Bonusbuch Die unendliche Geschichte zu lesen. 😉
Aber vorher bin ich nach Russland gereist und habe mir dort die Gesellschaft etwas näher angesehen.

Zum Buch

Gelesen habe ich Anna Karenina und wenn man es genau nimmt, waren das zwei Klassiker, denn das Buch ist in zwei Bänden erschienen.
Und wie man vielleicht vermuten könnte, geht es nicht nur um Anna Karenina in den Büchern, denn wir lernen auch noch viele andere Personen in ihrem Umfeld kennen. Dieser Roman ist eher ein Gesellschaftsroman, obwohl ich glaube die genaue Bezeichnung wäre hier Familienroman?!
Auf jeden Fall bekommt man einen guten Einblick in die damalige russische Oberschicht. Obwohl ich denke, dass sich diese problemlos auch auf andere Länder zur damaligen Zeit übertragen ließe.

Man steigt direkt ein, indem man Dolly und ihren Mann Stepan kennenlernt. Sie ist verzweifelt, weil er sie betrügt, doch nach einem Besuch ihrer Schwägerin Anna akzeptiert sie die Verhältnisse ihres Mannes, bzw. ignoriert sie.
Bei diesem Besuch in Moskau lernt Anna den Offizier Wronski kennen und dieser verliebt sich Hals über Kopf in die verheiratete Frau. Und wie man es sich denken kann, die beiden beginnen eine Affäre.
Ja, es geht ziemlich wild zu in dem Buch. Aber Lew Tolstoi schreibt sehr interessant und wenn man erstmal einen Plan davon hat, wer wer ist (denn die Russen haben gefühlt unendlich viele Namen), kann man das Buch prima lesen. Mir gefällt es auf jeden Fall. Im ersten Buch geht es dann sehr stark darum, wie sich die Beziehung zwischen Anna und Wronski aufbaut und wie ihr Mann Alexej darauf reagiert. Wobei Tolstoi hier wie gesagt nicht nur den Fokus auf diese drei legt, sondern auch andere Figuren und ihren Weg im Auge behält. Wie eben Annas Bruder Stepan und seine Frau Dolly oder den sehr guten Freund Stepans Lewin, der zunächst vergeblich um Dollys Schwester Kitty anhält. Zusätzlich erfährt man noch einiges von dem Leben nicht nur in der höheren Gesellschaft sondern auch durch Lewin, der ein Landgut besitzt, wie die Wirtschaft dort ablief.

Der erste Band gefiel mir schon wirklich gut und auch der zweite beginnt wieder sehr interessant. Mit anderen Konstellationen. Denn Anna trennt sich von ihrem Mann und Lewin und Kitty haben doch zueinander gefunden.
Doch aus irgendeinem für mich unerklärlichen Grund möchte Anna sich nicht scheiden lassen und steigert sich immer mehr in ihre Fantasien hinein. Wronski würde sie nicht lieben und hasst sie nur noch. Das geht für mich schon sehr stark über eine Unzufriedenheit über ihr jetziges Leben hinaus, ich würde sagen, sie hat eine Depression. Sie kann sich in der Gesellschaft nicht mehr sehen lassen, weil sie die betrügende Ehefrau ist, aber scheiden möchte sie sich auch nicht lassen.
Wronski versucht ihr immer wieder zu vermitteln, dass er sie liebt und er sie um ihret- und ihrer Kinder Willen heiraten möchte. Doch sie dreht ihm die Worte im Mund herum und legt alles so aus wie sie es möchte.

Wie schon vorher konnte ich mich mit Anna nicht anfreunden, sie ist ein sehr unzufriedener Charakter und obwohl ich so einige Dinge verstehen kann, was in ihr vorgeht, kann ich ihre Handlungen trotzdem nicht richtig nachvollziehen.

Auch Lewin hat im Buch 2 recht seltsame Gedanken und brütet über den Sinn des Lebens nach, doch am Ende wird zumindest bei ihm und Kitty alles gut.

Mir haben die Bücher im Großen und Ganzen trotz Unverständnis für Anna gut gefallen, nur an einigen Stellen, wenn Tolstoi etwas philosophischer wird oder den Vorgang einer Wahl beschreibt, war es mir etwas zu langatmig und ich habe nicht ganz durchgeblickt. Was aber daran lag, weil ich mich mit dem System nicht auskenne, ansonsten war es natürlich sehr informativ was das damalige Leben anging.

„Ich habe mir überhaupt kein Urteil gebildet“, sagte sie. „Aber ich habe dich immer liebgehabt, und wenn man jemand liebhat, dann liebt man den ganzen Menschen, wie er ist, und nicht, wie man sich wünscht, daß er sein sollte.“ (Zweites Buch, S. 262)

Im Kontext

Anna Karenina scheint viele biographische Züge zu haben, denn vieles ist aus Tolstois Leben inspiriert. Natürlich fließen da ganz stark seine Vorstellungen von der Familie rein, aber auch einige Szenen im Buch scheinen so übernommen zu sein, wie sie ihm passiert sind. Zum Beispiel, den Teil, als Lewin Kitty den zweiten Antrag macht, das Lewin hier nur die Anfangsbuchstaben des Satzes aufschreibt, soll Tolstoi auch bei seiner Frau Sofja gemacht haben. Ob das natürlich nur romantische Gedanken waren oder wirklich so passiert ist, weiß man nicht. Aber schön ist es trotzdem irgendwie. 🙂

1873 begann Tolstoi also mit seinem Werk Anna Karenina und bekam hierzu letzte Anregungen nach einer Lektüre von Alexander Puschkin, den er als „seinen Lehrer“ bezeichnete. Wobei das Ende von Anna für Tolstoi schon von Anfang an feststand, auch hier gab es ein reales Vorbild, nämlich Anna Pirogowa, die Haushälterin und spätere Geliebte eines Nachbarn von Tolstoi.

Die Bücher im Hause Tolstoi waren Familiensache, denn bei der Reinschrift half Lew Tolstoi immer seine Frau Sofja Tolstaja. Und doch waren hier die Umstände anders, denn während Tolstoi an seinem neusten Werk arbeitete, starben drei Kinder und zwei Tanten von ihm, was Tolstoi in eine Sinnkrise stürzte und ihn über den Tod nachdenken ließ. Dies zeigt sich auch an den Gedanken seines Protagonisten Lewin im Buch.
1875 begann dann die Publikation von Anna Karenina in der Zeitschrift Russkij westnik. Und die Hefte waren in „kürzester Zeit ausverkauft und wurden von den Lesern geradezu verschlungen“.
Und im Laufe seiner Weiterführung, wandelte sich der Familienroman mehr und mehr in ein Bild seiner Zeit. Es fließen hier nicht nur die verschiedenen Leben in den Ständen ein, sondern auch die Aufhebung der Leibeigenschaft und die Flucht der Bauern in die Städte. Und genau deshalb gibt uns dieser Roman einen guten Einblick in die Gesellschaften der damaligen Zeit in Russland.
Ein Werk, dass so viel mehr ist als einfach nur eine Geschichte einer Frau, die ihren ungeliebten Mann mit ihrer wahren Liebe betrügt und sich dann in den Selbstmord stürzt. Lewin zeigt uns das Leben eines Adligen und Gutbesitzers und Stepan ist jemand, der sein Geld durchbringt und sein Leben genießt, ohne Rücksicht auf Frau und Kinder. So vielfältig wie seine Protagonisten ist dieser Roman.

Zum Autor

Und auch Lew Tolstoi war ein vielfältiger Mensch. Denn neben seiner Schriftstellerei, trieben ihn noch andere Dinge um. Doch zunächst fing sein Leben wie das aller an und er wurde am 28. August 1828 als vierter Sohn des Grafen Nikolaj Iljitsch Tolstoi und seiner Frau, Maria Nikolajewna Tolstaja geboren. Dadurch dass seine Familie „zu den reichsten fünf Prozent der russischen Aristokratie“ gehörte ermöglichte das den Tolstois einen „standesgemäßen Lebensstil“ und Lew genoss eine ausgezeichnete Erziehung und Bildung.
Doch früh trafen Tolstoi die Schicksalsschläge, denn 1830 starb seine Mutter und nur 7 Jahre später verlor er seinen Vater. Und so wurde Tolstoi von seiner Tante, Tatjana Alexandrowna Jergolskaja erzogen.

Tolstoi wollte zunächst Diplomat werden und schrieb sich deshalb 1844 an der „Fakultät für orientalische Sprachen der Universität Kasan ein“. Im Laufe der nächsten drei Jahre wechselte er dann von Orientalistik zu Jura und brach schließlich sein Studium ganz ab um dann 1851 in die Armee einzutreten. Im Kaukasus, wo er stationiert war, schrieb er seinen ersten Roman, den autobiographischen Roman Kindheit.
Während seiner Zeit beim Militär war er ein loyaler Untertan des Zaren, aber nach und nach lehnte er die russische Politik immer mehr ab, was auch mit ein Grund dafür war, war das sein Landgut Jasnaja Poljana im Sommer 1862 während seiner Abwesenheit durchsucht wurde. Die Polizei suchte dort nach „verbotenen Schriften, einem Telegraphen oder Druckutensilien“, denn 1861 besuchte Tolstoi den Freidenker Alexander Herzen.
Doch auch wenn Tolstoi dem Staat nicht immer positiv eingestellt war, so war ihm die Bildung der Bevölkerung wichtig und im Laufe der Jahre 1858-1862 gründete er mehrere Schulen in Jasnaja Poljana. Außerdem schrieb er eine Fibel mit dem Titel Das ABC-Buch.
Doch noch etwas Positives passiert im Jahr 1862, denn am 23. September heiratet er Sofja Andrejewna Behrs. Mit der er insgesamt 13 Kinder hatte.

Wie oben schon erwähnt begann nach der Erscheinung von Anna Karenina für Tolstoi eine Sinnkrise, die darin gipfelte, dass er den russisch-orthodoxen Glauben in Frage stellte und seine eigene Religion entwickelte. 1901 kam es dann zum endgültigen Bruch, am 24. Februar wird Tolstoi exkommuniziert.

In den späteren Jahren wurde Tolstoi immer mehr von Wladimir Tschertkow beeinflusst, mit dem er 1884 den Verlag Der Vermittler gründete. Er ist es auch, der Tolstoi kurz vor seinem Tod dazu brachte sein Testament zu ändern. Mit ein Grund warum er in der restlichen Familie kein gern gesehener Gast war.
1910 flüchtet Tolstoi dann aus Jasnaja Poljana und stirbt in der Eisenbahnstation Astapowo.

Ja, das war er dann wohl, mein letzter Beitrag zur Klassikerreihe. Doch bevor ich hier jetzt nostalgisch werde – diesmal habe ich für meine Hintergrundrecherchen zwei Bücher gelesen, zumindest eines ganz und das andere teilweise. Weil in der Biographie Lew Tolstoi von Ulrich Schmid nicht so viel zum Kontext über Anna Karenina stand, habe ich dazu dann Lew Tolstoj von Ursula Keller und Natalja Sharandak hinzugezogen.

So jetzt eine kleine Abschiedsrede, bevor dann Ende des Monats mein großes Fazit erscheint.

Es hat mir total viel Spaß gemacht nicht nur die Klassiker zu lesen, sondern auch die Autor*innen hinter den Werken kennen zu lernen. Zudem habe ich viel positives Feedback von euch bekommen und das hat mir natürlich auch sehr viel Freude bereitet.
Meine 12 Klassiker, die ich mir vorgenommen habe, habe ich auch alle geschafft zu lesen und als Tipp, haltet die Augen offen, vielleicht kommt ja was Neues. 😉

Ich freue mich über jeden Kommentar zu meiner Klassikerreihe.

Liebe Grüße
Eure Diana

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Elisa Rosenthal

Hallo Diana,

freut mich zu hören, dass dein Klassikerjahr so erfolgreich war.
„Anna Karenina“ habe ich noch nicht gelesen, aber ich las vor ein paar Jahren „Krieg und Frieden“. Das gefiel mir wirklich gut und ich kann es empfehlen. Es gibt darin auch manchmal Tolstois längere Auslassungen, aber im großen und ganzen ist es interessant.

LG
Elsia

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